Interview mit Thomas Grotjan

Interview zwischen Johanne Fette vom Verein „VITA -Stronger together for peace and freedom“ und Thomas Grotjan (Prokurist, Verwaltungs – und Vertriebsleiter der VITA Akademie)

15.03.2022

 

Johanne: Wie kam es dazu, dass du an der Spendenaktion teilgenommen hast?

Thomas: Unsere Auszubildende Aleksandra Blaziak aus unserer Verwaltung in Wittmund kommt aus Polen. Ihr Heimatort liegt nur wenige Kilometer von der polnisch-ukrainischen Grenze entfernt. Nach Ausbruch des Kriegs bat sie um Unterstützung. Ihr Hauptgedanke war natürlich: Wir müssen helfen! Diesen Gedanken teilten wir alle in der VITA Akademie sofort.  Jede/r brachte Ideen ein und was wir bis zum heutigen Tage schon bewegt haben, finde ich persönlich fantastisch.  Es bildeten sich Arbeitsgruppen, ein Verein wurde gegründet, ein Spendenkonto eingerichtet, eine Homepage und unzählige Beiträge für die social-media-Kanäle erstellt.  Auch zahlreiche Sachspenden wurden gesammelt, die schon am Wochenende vom 04.-06. März 2022 mit drei Bullis an die Grenze gefahren wurden.

 

Johanne: Wo genau seid ihr am letzten Wochenende hingefahren und warum?

Thomas: Wir sind am vergangenen Wochenende mit neun Bullis nach Hrubieszów aufgebrochen. Der Ort liegt ca. 5 km von der polnisch-ukrainischen Grenze entfernt. Dort befindet sich eine Anlaufstelle und auch eine Aufnahmeunterkunft für Flüchtende. In diesem sog. “Dorfgemeinschaftshaus“ helfen unter anderem Verwandte von Aleksandra.  Also konnten wir dort bei der ersten Tour bereits Kontakte herstellen. Wir wurden nach unserer langen Tour in der Nacht noch sehr herzlich empfangen und ich habe sofort gespürt, wie froh man vor Ort über unsere Hilfe ist - gleichzeitig aber auch, wie sehr diese benötigt wird.

 

Johanne: Wie liefen die Vorbereitungen für die Fahrt ab?

Thomas: Nachdem ich leider nicht direkt am ersten Wochenende mitfahren konnte, stand für mich fest, bei nächster Gelegenheit mit dabei zu sein. Franz-Josef Kettmann (Geschäftsführer der VITA Akademie) und ich hatten bereits besprochen, gemeinsam einen Bulli fahren zu wollen.  Die Woche der Vorbereitungen ist wie im Flug an mir vorbeigegangen. Über die bekannten social-media-Kanäle (vor allem der Status bei WhatsApp) haben wir Fahrer:innen und Firmen gesucht, die uns Bullis zur Verfügung stellen. Spendenabgaben wurden organisiert und diese zentral zusammengefahren. Ich habe mich intensiv mit Kollegen:innen aus der ersten Tour ausgetauscht und dann ging es am Freitag, den 11.03.2022, am frühen Nachmittag los.

 

Johanne: Woher wusstet ihr, welche Dinge an der Grenze bzw. in der Ukraine benötigt werden?

Thomas: Sehr hilfreich ist, dass der Bruder und der Vater von Aleksandra vor Ort leben und uns immer auf dem Laufenden halten, was benötigt wird. Zudem hatten wir die bereits gemachten Erfahrungen der Kollegen:innen, die die Woche zuvor schon dort waren. Das alles haben wir immer aktualisiert und über die social-media-Kanäle verbreitet. Ich muss sagen, ich finde es gigantisch, wie viel Geld- und Sachspenden wir am letzten Wochenende mit an die Grenze nehmen konnten. Die Bullis waren alle bis unter das Dach beladen. Auf den Fotos sieht man, wie viele Hilfsgüter wir transportiert haben.

 

Johanne: Wie verlief der Weg nach Polen und wie war der Eindruck, als ihr angekommen seid?

Thomas: Nachdem in Wildeshausen die Bullis als Hilfskonvoi gekennzeichnet wurden, sind wir gegen 14:30 Uhr aufgebrochen. Wir hatten für die 1.274 km lange Reise ca. 13 bis 14 Stunden einkalkuliert. Auf dem Hinweg war die Aufgabenverteilung klar. Franz-Josef organisiert und koordiniert, ich fahre. Wir sind gut durchgekommen und unser Bulli war gegen 4 Uhr Samstagnacht/-morgen am Ziel. Aus unterschiedlichen, nicht vorher einplanbaren Gründen, klappte das sofortige Entladen der Bullis zwar nicht, aber das war kein Beinbruch. Wir konnten somit schneller in ein nahegelegenes Hotel, wo Aleksandra uns Übernachtungsmöglichkeiten organisiert hatte. So konnten wir ein paar Stunden schlafen und sind mittags erneut zur Entladestation, dem “Dorfgemeinschaftshaus“, aufgebrochen. Dort erwarteten uns unzählige Helfer:innen, die beim Ausladen geholfen haben. Nach einer kleinen Stärkung sind wir weiter in Richtung Grenze zu einem Auffanglager für Flüchtende gefahren. Vor Ort haben wir uns als Hilfskonvoi angemeldet und haben nach Menschen gesucht, die mit uns die Rückreise nach Norddeutschland antreten wollten. In diesem Auffanglager, einer umfunktionierten Sporthalle, war die Geräuschkulisse für mich schwer auszuhalten. Es waren viele Frauen mit Kindern, vor allem mit kleinen Kindern, dort. Männer habe ich den ganzen Tag über fast gar nicht gesehen. Es stehen ausreichend Feldbetten, eine medizinische Versorgungsstation und viele Hilfsgüter wie Decken und Klamotten zur Verfügung. Zudem werden alle mit warmen Mahlzeiten versorgt. Die Menschen werden mit Bussen von der Grenze dorthin gefahren, um sich von den Strapazen der Reise zu erholen. So können sie vielleicht wieder Hoffnung schöpfen und Pläne überlegen, um sich weiter in Sicherheit zu bringen. Als ich an der Grenze war, überraschte mich, dass zu dem Zeitpunkt wenig Flüchtende warteten. Ich habe nur vereinzelt Frauen mit Ihren Kindern zu Fuß aus Richtung des Grenzübergangs kommen sehen. Ich hatte den subjektiven Eindruck, als würde man an der Grenze nur noch vereinzelt Menschen durchlassen. Wir hörten gleichzeitig, dass auf der ukrainischen Seite noch viele auf eine Überquerung der Grenze warten würden. Das geht dann ziemlich an die Substanz. Es war auf der einen Seite beängstigend, wie viel Leid dort herrscht. Auf der anderen Seite sahen wir, wie viel Freude unsere Spenden bringen und natürlich den Mut, das außerordentliche Engagement und die Courage der vielen Helfer:innen.

 

Johanne: Wie wurde vor Ort die Verteilung der Spenden organisiert und was macht ihr mit den Geldspenden? Thomas: Die Sachspenden wie Kleidung, Kindersitze, Decken, Isomatten, Schlafsäcke, aber auch Medikamente, Nahrungsmittel und Getränke wurden beim “Dorfgemeinschaftshaus“ entladen. Ein kleiner Teil davon verbleibt vor Ort. In dieser Unterkunft können aber nur ca. 15 Menschen unterkommen. Die meisten bleiben nur kurz und reisen dann weiter. Der Großteil der Spenden wird von mehreren Lkws über die Grenze in die Ukraine gefahren. Für diesen Transport, die Spritkosten und weitere Einkäufe haben wir auch Geld direkt gespendet. Des Weiteren sind wir zu einem großen Supermarkt gefahren. Dort haben wir von den Geldspenden Getränke wie Wasser und Trinkpäckchen jeglicher Art gekauft. An Lebensmitteln wurde viel Brot, Kekse, Nüsse, Süßigkeiten für Kinder, Babynahrung usw. erworben. Zusätzlich sind Hygieneartikel wie Pampers, Feuchttücher, Shampoo, Deo usw. gefragt. Diese Einkäufe sieht man gut auf den Fotos vom beladenen Bulli. All das haben wir direkt an die Grenze gefahren und dort wieder mit den vielen Helfer:innen ausgeladen.

 

Johanne: Sind weitere Touren geplant?

Thomas: Ja, auf jeden Fall! Solange uns ausreichend Bullis und freiwillige Fahrer:innen zur Verfügung stehen, werden wir helfen. Wir helfen bis unsere Unterstützung nicht mehr benötigt wird. Gestern ist bereits wieder ein Bulli aufgebrochen, um Flüchtende aus Breslau zu holen. Und zwar Verwandte zu einer Frau und drei Kindern, die letztes Wochenende in Altenoythe aufgenommen wurden. Menschen, die hier in der Region Sicherheit finden, erzählen das natürlich ihren Familien und Freunden. Daher melden sich Flüchtende jetzt auch gezielt bei uns, um in diese Region zu kommen. Der Wunsch, in einem anderen Land in der Nähe von Bekannten, Verwandten oder Freunden unterzukommen, ist ja nur allzu verständlich. Am kommenden Wochenende starten nach jetzigem Stand die nächsten sechs Bullis und das Wochenende später bestimmt noch mal so viele. Dann möchten einige neue Helfer:innen und auch ich wieder mit auf der Tour dabei sein. Ich persönlich kann mir auch vorstellen Flüchtende aus Breslau, Berlin oder Hamburg abzuholen – je nachdem, wie weit sie bereits gekommen sind.

 

Johanne: Wie viele Menschen habt ihr mit in die Region gebracht?

Thomas: Meines Wissens nach sind bereits 14 Bullis auf Reisen nach Breslau oder an die Grenze gewesen und wir haben über 60 Menschen mit in die Region gebracht. Franz-Josef und ich haben eine Mutter mit zwei Mädchen im Alter von elf und zehn Jahren und einen Sohn, der vier Jahre alt ist, zu einer Familie nach Altenoythe gebracht. Johanne: Wie kann man in Deutschland helfen? Thomas: Die Hilfe kann vielfaltig aussehen. Wir setzen Geldspenden direkt vor Ort ein und zwar genau dort, wo die Hilfe am dringendsten benötigt wird. Auch über Sachspenden halten wir täglich über unsere social-media-Kanäle – beispielsweise über den Status bei Whatsapp – unsere „Follower“ auf dem Laufenden. Dann suchen wir Bullis und freiwillige Fahrer:innen für die unterschiedlichsten Fahrten. Zudem ist die Suche nach Familien, die bereit sind, Menschen aufzunehmen und sich um diese zu kümmern, natürlich eine wichtige Aufgabe. Gefragt sind auch Helfer:innen, die sich hier vor Ort um die geflüchteten Menschen kümmern und z.B. unterstützten bei Behördengängen, beim Einkaufen usw.

 

Johanne: Willst du ein weiteres Mal fahren?

Thomas: Ja auf jeden Fall. Wie eben schon gesagt, ich kann mir vorstellen, einzelne Fahrten nach beispielsweise Breslau, Berlin oder Hamburg zu machen, aber auch am übernächsten Wochenende erneut für eine Tour an die Grenze aufzubrechen. Und das wird dann bestimmt auch nicht das letzte Mal sein. Wir konnten in unserer Region vor unserer Abfahrt bereits mehrere Familien finden, die Menschen aufnehmen wollten, als wir Plätze für Geflüchtete in den Bullis zur Verfügung hatten. Diese riesige Hilfe, Unterstützung und Anteilnahme sind der Wahnsinn.

An dieser Stelle VIELEN DANK an alle, die uns, aber vor allem die Menschen, die aktuell flüchten müssen, unterstützen.

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