Erlebnisbericht Daniela Wilhelm

Als Franz-Josef Kettmann die Info gegeben hat, dass besonders Frauen gesucht werden, um den geplanten Hilfskonvoi aus acht Bullis vom 10.-13.03.22 zu begleiten, habe ich nicht lange überlegt und die Hilfe von mir und meinem Mann Michael angeboten. Eine WhatsApp-Nachricht später war klar, dass wir dabei sind.

 

Warum Frauen? Da die geflüchteten Frauen und Kinder, die wir auf dem Rückweg aufnehmen würden, um sie in bereitgestellte Unterkünfte nach Niedersachsen zu bringen, eher Vertrauen zu Frauen fassen. Das war am Mittwoch, am Freitag ging es dann mittags los. Die Hilfsgüter aus Garrel und Brake waren in unserem Bus (zur Verfügung gestellt vom Seniorenzentrum in Altenoythe - von Wille & Partner) verstaut, der Tank voll und der Bus als Hilfstransport gekennzeichnet. Auf geht’s.

 

Knapp 1300 km liegen nun vor uns. Der erste Zielort ist Trzeszczany, kurz vor der ukrainischen Grenze. Hier werden alle acht Bullis (mit einem Bulli, den Franz-Josef Kettmann für jemanden organisiert hat, der für eine Berliner Organisation gefahren ist, waren es sogar neun Bullis) die Hilfsgüter abladen. Aleksandra, Auszubildende der VITA Akademie, hält Kontakt zu dieser Gemeinde, da hier ihre Heimat ist.

 

Danach geht es für alle weiter nach Hrubieszow, direkt an die ukrainische Grenze, um dort die wartenden Geflüchteten aufzunehmen. Je weiter wir in Richtung Osten fahren, desto mehr Hilfstransporte sehen wir. Ganze LKWs, große und kleine Busse aber auch private Autos aus allen europäischen Ländern begegnen uns. Stets mit einem roten Kreuz und den Landesflaggen gekennzeichnet. Voller Hilfsgüter auf unserer Fahrbahn sowie Busse und Autos voller geflüchteter Menschen auf der Gegenfahrbahn. Aus dem Fernsehen wussten wir natürlich von dieser großen Solidarität und Hilfsbereitschaft.

 

Dies live nun zu sehen, ist für uns aber noch einmal was ganz anderes. An einer Tankstelle haben wir einen Schweizer kennengelernt. Er hat sich privat mit seiner Frau und Kind auf den Weg gemacht, um wenigstens zwei Menschen zu helfen. Wir sind zutiefst berührt. Aber auch die große Polizei - und Militärpräsenz haben uns überwältigt, je dichter wir der ukrainischen Grenze kamen. Auf der Autobahn in Polen haben wir noch vor Warschau eine lange Militärkolonne überholt, beladen mit Panzern auf dem Weg in Richtung Grenze.

 

Diese Eindrücke zu verarbeiten war deutlich schwerer. Plötzlich war uns noch einmal bewusster, warum wir alle diese Strecke fahren. Nach ein paar Stunden Schlaf, und einer kurzen Pause in Warschau, sind wir am Samstag um 12:00 Uhr in Trzeszczany angekommen. Dort kamen innerhalb von wenigen Minuten zig Helfer per Auto, Fahrrad oder zu Fuß an, um unsere acht Busse in Windeseile zu entladen. Alles lief sehr koordiniert ab. Die Hilfsgüter wurden nach Art sortiert und ein Großteil sollte noch am Nachmittag an und über die Grenze gefahren werden. Medikamente und Verbandsmaterial wurde uns direkt mitgegeben, da wir vorher an der Grenze sein würden.

 

Man muss dabei betonen, dass diese ganze Hilfe in der Gemeinde jeden Tag ehrenamtlich organisiert und durchgeführt wird. „Um zu helfen, wo man kann und etwas zurückzugeben“, so die Aussage der Helfer:innen vor Ort. Deren Gastfreundschaft war überwältigend. Vor der Weiterfahrt wurden wir zu Kaffee und Tee in den Gemeindesaal gebeten. Hier standen ca. 20 Betten sowie Kinderbetten für die dort ankommenden Frauen und Kinder bereit. Alles war so liebevoll hergerichtet. Und bei allem Engagement für die Ukrainer:innen wurden nun auch noch wir verpflegt. Nach kurzer Organisation sind dann sechs Bullis an die Grenze in Hrubieszow gefahren, ein Bulli musste leider in die Werkstatt und wir haben uns, nun mit vier Fahrern, spontan auf den Weg nach Kattowitz in Schlesien gemacht.

 

Denn am Freitag erreichte uns ein Hilferuf von einer Familie in Garrel, dass dort zwei Frauen und zwei Kinder gestrandet sind als sie sich auf dem Weg zu dieser Familie in Garrel befanden. Ich bekam die Handynummer von einer der beiden Frauen und konnte mit ihr, dank Google Translator, Kontakt aufbauen. Um 20:30 Uhr war es dann so weit, Marina (die Mutter der beiden Kinder, 34 Jahre), Tochter Viktoria (9 Jahre), der Sohn Yevhenii (6 Jahre) und die Schwester von Marina Snizhana (26 Jahre) konnten nach drei Tagen die Schule, in der sie untergekommen waren, in Richtung Garrel verlassen. Auf dem Rückweg haben wir uns aufgrund der fehlenden Englisch- und Deutschkenntnisse weiter per Google verständigt. Sie erzählten uns, dass sie am 08.03.2022 aus einer Stadt, südlich von Kiew, gestartet sind, nachdem dort Angriffe und Kämpfe stattgefunden haben. Mit dem Zug, der immer nur in der Dunkelheit und dann ohne jegliche Beleuchtung gefahren ist, um nicht angegriffen zu werden, waren sie 2 Tage unterwegs bis nach Polen.

Dort sollte es dann eigentlich von Kattowitz aus mit dem Zug über Berlin bis nach Garrel gehen. Leider war es hier nicht mehr möglich Tickets nach Berlin zu bekommen. Sie haben es immer wieder versucht, leider ohne Erfolg. Marina und ihre Schwester Snizhana waren nun mit den Kindern zu viert auf der Flucht vor dem Krieg, während ihre Eltern aufgrund einer Erkrankung zu schwach sind und dortbleiben mussten. Der Mann musste ebenfalls dortbleiben und die Stadt verteidigt. Die Angst und das Vermissen waren in unserem „geschriebenen Gespräch“ zu lesen und zu spüren, das hat mich am meisten bewegt. Aber auch die Hoffnung und der Glaube, dass es bald vorbei sein wird und sie zu ihrer Familie zurückdürfen. Sie sagte, die Kinder seien so tapfer, obwohl sie ihren Papa vermissen. Diese Tapferkeit haben auch wir während der langen Rückfahrt gespürt. Viktoria und Yevhenii waren mit neun und sechs Jahren so besonnen.

 

Sie haben nie über die lange Fahrt oder sonst etwas geklagt. Ich kann das kaum in Worte fassen. Wir haben uns dann noch gegenseitig Bilder unserer Familien und Leben gezeigt. Sogar an der einen oder anderen Stelle auch mal gelacht. Draußen haben uns immer wieder Autos aus der Ukraine überholt. Sie waren so vollgestaubt und verschmutzt. Alleine daran konnte man erkennen, was diese Flucht bedeutet. Das ganze Leben nun im Kofferraum oder in der montierten Dachbox verstaut. Auf den Raststätten haben wir auch viele alte, pflegebedürftige Familienmitglieder gesehen, die manchmal von Helfer:innen aus den Autos getragen wurden, da sie keine Hilfsmittel mitnehmen konnten oder an wackeligen Unterarmgehstützen aus Holz liefen.

Auch hier gab es überall so eine riesige Solidarität unter allen, die mir als Krankenschwester an so manchen Stellen die Tränen in die Augen schießen ließ. Man verständigte sich „händisch und füßisch“ und auf gebrochenem Englisch, Deutsch oder Polnisch. Aber es funktionierte immer und alle haben etwas zu essen bekommen. Morgens um 6.30 Uhr waren wir in Garrel und haben die Familie zu einer sehr herzlichen und hilfsbereiten Familie gebracht. Hier sind sie nun erst einmal in Sicherheit.

Ich wünsche mir, dass sich deren Glaube erfüllt und wirklich alles schnell vorbei geht und sie sich als Familie wieder in die Arme schließen können. Persönlich habe ich versprochen, dass ich, wenn es so weit ist, auch helfe, die Familie wieder zusammenzuführen. Diesen Moment sehnen wir wohl alle herbei.

 

Persönlich bin ich dankbar, dass ich Teil des Ganzen sein durfte. Vor Ort zu sein und dort mit Menschen zu sprechen, deren Geschichten zu hören, hat uns sehr bewegt. Diese Eindrücke müssen auch wir nun erstmal verarbeiten.

Dennoch würden wir es zu jeder Zeit noch einmal machen.

 

Das, was unschuldige Menschen in der Ukraine erleiden müssen, macht uns sprachlos, aber nicht tatenlos...

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